Zentrum für interdisziplinäre Forschung
Nachruf: Franz-Xaver Kaufmann - Vordenker interdisziplinärer Forschung
Über Interdisziplinarität wird viel gesprochen, praktiziert
wird sie nicht ganz so oft. Und wenn, erschöpft sie sich oft in der Einleitung
zu einem Sammelband. Denn ernst genommen hat sie durchaus ihre
Herausforderungen. Niemand hat dies so klar gesehen und auf den Punkt gebracht
wie Franz-Xaver-Kaufmann, Mitbegründer der Fakultät für Soziologie und Ehrensenator der Universität Bielefeld. „In der
Praxis bedeutet Interdisziplinarität die Bereitschaft, auf zunächst
ungesicherten Kommunikationsvoraussetzungen zusammenzuarbeiten, in ein
Experiment mit unsicherem Ausgang einzutreten“ schrieb er. Und fügte hinzu:
„Nicht jeder berühmte Wissenschaftler hält das aus.“
Kaufman hielt es aus, auch als langjähriger Direktor des Bielefelder Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF) und als Leiter der dortigen interdisziplinären Forschungsgruppe „Steuerung und Erfolgskontrolle im öffentlichen Sektor“, die 1981/82 unter anderem über die Lernfähigkeit in politischen Systemen arbeitete.
Der Sozial- und Wohlfahrtstaat blieb sein Thema, bis 1997 hatte er in Bielefeld den ersten Lehrstuhl für Sozialpolitik und Soziologie in Deutschland inne. Und auch am ZiF wirkten seine Arbeiten nach: So inspirierten und beförderten sie etwa eine Forschungsgruppe zur Sozialpolitik im Globalen Süden, die 2018 unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrike Davy und Prof. Dr. Lutz Leisering stattfand. „Franz-Xaver Kaufmanns Pionierarbeiten hatten sich vor allem auf europäische Entwicklungen konzentriert, in politisch-historischer und theoretischer Hinsicht. Die ZiF Forschungsgruppe hat seine Ansätze mit Blick auf Entwicklungen im Globalen Süden – am Beispiel Brasilien, China, Indien und Südafrika – fortgeschrieben. Kaufmann war und ist unverzichtbar für unsere Arbeiten“, berichtet Ulrike Davy.
(Universität Bielefeld )
Nach wie vor hoch
geschätzt sind am ZiF auch Franz-Xaver Kaufmanns Schriften über die Chancen und die Herausforderungen interdisziplinärer Arbeit. Denn genau
so, wie er es beschrieben hat, geht es in den ZiF-Forschungsgruppen bis heute darum,
einen Forschungsgegenstand von vielen Seiten zu betrachten und so die blinden Flecken,
die die Zugriffe der einzelnen Disziplinen lassen, auszuleuchten. In
Franz-Xaver Kaufmanns Worten: „Wenn es nunmehr gelingt, mehrere
einzelwissenschaftliche Perspektiven so aufeinander zu beziehen, dass das
Gemeinsame und Analoge ihrer Erkenntnisse in den Vordergrund tritt, so ergibt
sich gleichzeitig auch ein Bild derjenigen Gesichtspunkte, die von den
Einzelperspektiven vernachlässigt werden, deren Bedeutung jedoch für das
Verständnis des Erfahrungsobjektes aus einer anderen fachwissenschaftlichen
Perspektive deutlich zu machen ist.“
Am 7. Januar 2024 ist Prof. Dr. Dr. h.c. Franz-Xaver Kaufmann im Alter von 91 Jahren verstorben. Wir behalten ihn als wegweisenden Denker und ebenso freundlichen wie bescheidenen Menschen in Erinnerung. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.