Zentrum für interdisziplinäre Forschung
Die Destabilisierung von Institutionen durch die AfD
Treiber eines autoritären Systemwechsels.
Zur Destabilisierung von Institutionen durch die AfD
Vom 4. - 6. Dezember 2024 fand im ZiF der Workshop „Die Gefahren der Delegitimierung und Destabilisierung von gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen durch den Autoritären Nationalradikalismus der AfD“ statt. Geleitet wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld) und Prof. Dr. Günter Frankenberg (Universität Frankfurt). Ausgangspunkt der Analysen war die gemeinsam geteilte Grundannahme, dass gesellschaftliche und staatliche Institutionen zentrale Faktoren für die Stabilität einer pluralistischen Gesellschaft und liberalen Demokratie sind.
Dies schließe notwendige Kritik an ihnen nicht aus, soweit diese nicht darauf abzielt, Institutionen die Legitimität zu entziehen, sie zu destabilisieren und zu zerstören. Daher sei besondere Aufmerksamkeit dann angezeigt, wenn politische Strategien zu Delegitimierungen und Destabilisierungen sichtbar würden. Hier wurde für den Workshop angesetzt, da inzwischen unübersehbar ist, dass der Autoritarismus in Politik und Gesellschaft sowohl international und auch national auf dem Vormarsch ist, um autoritäre Verhältnisse innerhalb eines demokratischen Systemwechsels anzustreben.
Als deutsche Variante dieser Entwicklung gilt die AfD. Wilhelm Heitmeyer stellte im Einleitungsvortrag eine Charakteristik der AfD vor, die sich auf die andauernde und zunehmende Resonanz in unterschiedlichen sozialen Milieus konzentrierte. Damit machte er deutlich, dass die gängigen Strategien zur Abschreckung von Wähler*innenschaften durch die Einordnung der AfD von Medien, Politik und auch Wissenschaft als rechtsextremistische Partei, als Neonazi-Partei oder als Faschistische Partei völlig gescheitert sei. Deshalb konzentrierte er sich auf die Attraktivität und kam zu dem Ergebnis, dass die AfD es geschafft habe, einen neuen Parteitypus zu entwickeln, den er Autoritären Nationalradikalismus nennt. Das Autoritäre zielt auf das Gesellschaftsmodell und Staatsverständnis; das Nationalistische auf die Überlegenheitsattitüden deutscher Kultur und einer ausgrenzenden Identitätspolitik; Neudeutung deutscher Geschichte und nationalistische Wiederherstellung von Souveränität durch Austritt bei EU, EU-Raum und NATO etc. Das Radikale fokussiert aggressive Kommunikationsstile u.a. durch Feindbilder einer Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und Mobilisierungskonzepte, die sie zur modernsten Digitalpartei mit großer Reichweite gemacht haben.
Die Teilnehmenden der Tagung im ZiF. Foto: Universität Bielefeld/P. Ottendörfer
Günter Frankenberg stellte in seinem institutionentheoretischen Beitrag die Spannung zwischen notwendiger Kritik an Institutionen und den Strategien der Unterwanderung und Delegitimierung heraus. Als ein Beispiel führte er den enormen Anstieg der Ordnungsrufe gegen die AfD im Bundestag an. Die Schmähkritik der Abgeordneten anderer Fraktionen sei darauf angelegt, den Ruf der Institution Bundestag als Forum von parlamentarischer Rede und Erörterung gesellschaftlicher Probleme zu schädigen und das Parlament auf längere Sicht zu destabilisieren.
Auch die Frage des Missbrauchs von Recht stand zur Debatte, die der Frankfurter Rechtswissenschaftler Klaus Günther aufwarf. Der Schutz des Bundesverfassungsgerichtes gegen autoritären Missbrauch, auf den sich die Ampelkoalition und die Union verständigt haben, ziehe wiederum auch Missbrauchsvorwürfe im öffentlichen Raum nach sich.
Insgesamt stand die Durchmusterung von acht Institutionen auf der Tagesordnung, um der Frage nachzugehen, welche Institutionen sich als anfällig zeigen durch ihre Funktionsträger*innen oder Mitglieder und welche sich als resilient erweisen.
Diese Frage ist auch besonders relevant für die Polizei, die der Frankfurter Kriminologie Tobias Singelnstein bearbeitete, denn Untersuchungen zeigten, dass es etliche Polizist*innen gebe, die ein „ambivalentes Verhältnis“ zur Demokratie aufwiesen, mithin anfällig wären für autoritäre Versuchungen. Der Hamburger Jurist Joachim Wagner fokussierte die Bedeutung der Justiz, die in anderen, auch europäischen, Ländern erfolgreich auf eine autoritäre Regierungslinie gebracht worden ist. Wie also könne man verhindern, dass ausgewiesen rechte Personen zu Richter*innen ernannt werden? Sein Vorschlag, dies mit der Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu verhindern, traf durchaus auf Skepsis in der Diskussionsrunde. Unaufgeklärt ist die Situation bei der großen Anzahl von Schöff*innen. Zur Bewerbung für dieses Amt hatte die AfD explizit aufgefordert. Bei den Gewerkschaften ist die Entwicklung ebenfalls unübersichtlich, wie Klaus Dörre von der Universität Jena berichtete und auf die Wahlergebnisse für die AfD durch Arbeiter*innen hinwies, unter denen auch eine erhebliche Anzahl aktiver Gewerkschaftler*innen seien. Mithin reichen die Destabilisierungsversuche auch in die Mitgliedschaften hinein und es sei kein probates Gegenmittel in Sicht.
Dass auch andere Verbände in einen Destabilisierungsprozess hineingeraten, zeigte der Bochumer Soziologe Rolf Heinze auf, da agrarische Interessenverbände durch autoritäre Basisproteste unter Druck gerieten wie gerade die Bauernproteste in Berlin und anderswo gezeigt hätten, etwa mit Attacken gegen politische Mandatsträger*innen und auch mit Neugründungen, die einen autoritären Duktus in ihren Aktivitäten aufwiesen. Zugleich wies er auf notwendige Differenzierungen hin, wonach die einfache Gegenüberstellung von Stadt und Land in der Verteilung autoritärer Einflusschancen nicht angemessen seien. Medien seien getrieben von der AfD, so der Mainzer Journalistikwissenschaftler Tanjev Schultz. Daher konstatierte er, dass die Aufforderung der AfD nach „Neutralität“ bei Journalist*innen durchaus auf fruchtbaren Boden falle. Genau dies könne dann zu einer Verharmlosung und zur Popularisierung von Themen und Positionen der AfD beitragen. Medien sind offensichtlich in einem Dilemma durch die Strategie der AfD zur „Ausweitung des Sagbaren“. Berichten sie nicht über die Einführung solcher Begriffe durch die AfD wie „großer Bevölkerungsaustausch“, um massiv gegen Geflüchtete vorzugehen mitsamt beabsichtigter „Remigration“ als Zwangsausweisung, werden sie als „Lügenpresse“ bezichtigt, um Solidarisierung ihrer Sympathisant*inneen zu erzeugen. Berichten sie darüber, werden sie Teil des von der AfD angezielten Normalisierungsprozesses.
Einem besonderen Feld der Destabilisierung widmete sich der Berliner Journalist und Theaterkritiker Peter Laudenbach. Es ging um das Feindbild Kunst und die rechten Angriffe auf die Kunstfreiheit. Eindrucksvoll machte er deutlich, wie die AfD etwa über Kulturetats in den Kommunen zu einer Destabilisierung der Kulturarbeit versucht, ihre „deutschen“ Programme in Szene zu setzen. Insbesondere kleine Initiativen im ländlichen Raum sind offenkundig gefährdet. Die politische Bildung steht ebenfalls im Fokus der AfD. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, zeigte die Aktivitäten der AfD auf und demonstrierte an den Angriffen gegen die Erinnerungsarbeit in den Gedenkstätten auch gegen ihre Vertreter*innen die weitreichenden Folgen.
Während der gesamten Tagung wurden immer wieder zwei zentrale Themen deutlich, die in das Repertoire der Destabilisierungsversuche hineingehören. Es ist der AfD- Vorwurf, das die gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen keine „Neutralität“ aufwiesen und man dagegen vorgehen müsse; in der Polizei, bei Richter*innen, bei Lehrkräften in Schulen, bei Medienschaffenden, in Gewerkschaften, in der politischen Bildung etc. Gleichzeitig zeigt sich, dass die AfD diesen Vorwurf dazu nutzt, in diese Bereiche vorzudringen, um an der Normalisierung – der zweite zentrale Begriff – ihrer autoritären Konzepte zu arbeiten. Prozesse der Normalisierung vor dem Hintergrund von Delegitimierung und Destabilisierung finden auch in den digitalen Medienstrategien ihren Platz, wie die Kieler Politikwissenschaftlerin Paula Diehl vorstellte, zumal die AfD als modernste Digitalpartei scheinbar uneinholbar vorne liegt gegenüber den anderen Parteien.
Eine andere Variante stellte die Wiener Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer vor. Sie beschrieb Geschlechter- und Sexualitätspanik als Mechanismus der Normalisierung der autoritären Rechten. Soziale Verunsicherungen u.a. bei jungen Männern werden umgelenkt in die Unterstützung für die AfD. Sehr erfolgreich betreibt dies, wie die Landtagswahlergebnisse in Sachsen und Thüringen zeigen, der sächsische AfD-Politiker Maximilian Krah auf TikTok mit dem Slogan „Echte Männer sind rechts; dann klappt das auch mit der Freundin“.
Ein vorläufiges Resümee des Workshops besteht darin, dass die Aufmerksamkeit in den unterschiedlichsten Institutionen dringend gesteigert werden muss im Hinblick auf die Versuche und Mechanismen der Delegitimierung und Destabilisierung durch die AfD und deren Aktivitäten zur Normalisierung ihres Autoritären Nationalradikalismus. Deren gefährliche Attraktivität werde bei Mitgliedern oder Funktionsträger*innen immer noch völlig unterschätzt.