Zentrum für interdisziplinäre Forschung
Auf welche Zukunft haben wir Lust?
Die Welt verändert sich rasant – aber das ist nicht neu. Veränderung, so führte die Mannheimer Historikerin Annette Kehnel auf der ZiF-Konferenz 2024 aus, war stets der Begleiter der Menschen, weshalb diese echte Transformationskünstler*innen seien. Entwarnung in der aktuellen Situation wollte sie damit nicht geben. Vielmehr attestierte sie der intelligentesten Spezies auf dem Globus eine kollektive Entwicklungsverweigerung mit Blick auf die sich schon so lange abzeichnenden Krisen, vom Klimawandel über den Verlust der Biodiversität und des fruchtbaren Bodens bis hin zur Wasserknappheit. Der Rückblick in die Geschichte, so Kehnel, könne der dringend nötigen Entwicklung von Einsicht und guten Strategien Anstöße geben, könne den „Käfig der Alternativlosigkeit“ aufbrechen, in dem sich viele gefangen fühlten. Denn, so der Titel ihres Vortrags: „Wir konnten auch anders“.
(Alle Fotos: Universität Bielefeld/P. Ottendörfer)
Niemand will zurück ins Mittelalter, so
Kehnel, aber von manchen historischen Strategien könne man vielleicht doch
etwas lernen, etwa davon, wie die Bodenseefischer mit verbindlichen Absprachen über
Jahrhunderte verhinderten, den See zu überfischen. Oder davon, wie Frauen
selbständig und doch gemeinsam in Beginenhäusern lebten, oder davon, wie
Crowdfunding im Mittelalter den Bau und die Unterhaltung von Brücken ermöglichte.
Nachhaltigkeit, so Kehnel, war damals nicht 'nice to have', keine spinnerte Idee, sondern
eine Überlebensstrategie. Und das sollte sie heute auch sein.
Die ZiF-Konferenz 2024, die große öffentliche Jahrestagung
des ZiF, stand unter dem Titel „Zukunft jetzt! Klima, Demokratie, Geschichte“. Ziel
war, den Untergangsszenarien positive Beispiele, Projekte und Denkformen entgegenzustellen.
Dazu hatte das Direktorium des ZiF renommierte Referent*innen aus verschiedenen
Disziplinen eingeladen.
Erstarrung und Untätigkeit überwinden, das war auch das Ziel von Claudine Nierth. Die Vorsitzende von "Mehr Demokratie e.V." fragte nach dem wichtigsten demokratischen Erlebnis der Anwesenden. Radfahren auf der Autobahn, antwortet eine Zuhörerin. Alle paar Jahre zur Wahl zu gehen, das sei jedenfalls zu wenig, um eine demokratische Gemeinschaft zusammenzuhalten, so Nierth, man müsse die Demokratie auch durch demokratische Erlebnisse stärken. Sie berichtete von ihren Erfahrungen mit der Organisation von Bürgerräten. Die Qualität von Entscheidungen wachse mit der Vielfalt der beteiligten Perspektiven, ist Nierth sich sicher. Und mit dem Engagement derer, die nicht ständig auf Umfrageergebnisse schielen und sich mit Lobbyisten auseinandersetzen müssen, also mit den 'normalen' Bürger*innen.
Der Jurist, Soziologe und Philosoph Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig brach eine Lanze für einen konsequenten Emissionshandel, Ökozölle und andere Verfahren, um die Faktoren, die die aktuelle Krise vorantreiben, zu begrenzen. Wissen und Werte seien nur als Verstärker interessant, so der Forscher, denn viele wüssten zwar viel, hätten aber dennoch einen riesigen ökologischen Fußabdruck und täten wenig dagegen. Dafür machte er unter anderem Faktoren wie Eigennutz, Bequemlichkeit, technisch-ökonomische Abhängigkeiten und Vorstellungen davon, was normal sei, verantwortlich.
Reinhard Loske, Politikwissenschaftler an der Universität Witten/Herdecke und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin präsentierte einen optimistischeren Blick auf die Menschheit. Neben einer besseren Wissenschaftskommunikation, die mehr Menschen erreiche, argumentierte er für eine ökologisch ehrliche Preisgestaltung, eine umfassendere Definition von Wohlstand als über das Bruttoinlandsprodukt und ein aktives Umsteuern der Wirtschaft. Vor allem aber betonte er den Wert der Empathie, des Mitgefühls mit Menschen, auch in anderen Teilen der Welt, aber auch mit der nicht-menschlichen Natur. Empathie, so seine Hoffnung, könne lähmende Angst in tätige Sorge verwandeln. Wie Annette Kehnel setzt er dazu auf die Macht guter, einladender Erzählungen. Denn die Sorge um die Zukunft sei mehr als ein „Spleen einer saturierten Bionade-Bourgeoise“.
In der abschließenden Podiumsdiskussion „Vom Wissen zum Handeln“ versuchten die Podiumsgäste, die „Kakophonie an Empfehlungen“, so Manfred Fischedick, Wirtschaftswissenschaftler am Wuppertal Institut, zu entwirren. Helmut Haberl, Sozialökologe an der Universität für Bodenkultur in Wien, beklagte, immer mehr Ressourcen würden für den Aufbau und die Erhaltung einer nicht mehr zeitgemäßen Infrastruktur aufgewendet – was es zugleich immer schwieriger mache, umzusteuern. Wir verzichten auf viel gutes Leben, weil wir dem Fetisch Auto unsere Städte geopfert haben, so der Forscher. Manfred Fischedick sprach sich für die Stärkung einer Ermöglichungskultur aus, die es den Menschen leichter mache, nachhaltig zu leben. Bei dieser Transformation dürfe das Geld nicht nur in die Technik investiert werden. Vielmehr müsse man auch im Blick haben, ob es Menschen gelingt, in einer sich wandelnden Welt neue Identitäten aufzubauen. Die Podiumsdiskussion endete mit einer Frage zum Mitnehmen: Auf welche Zukunft haben wir eigentlich Lust?