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Auftrag, den Wandel weiter zu organisieren
Am 1. Oktober startete Ihre neue – die dritte – Amtszeit. Die Hochschulversammlung hat Sie mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Ein großer Vertrauensvorschuss. Wie gehen Sie damit um?
Sagerer: Diese breite Zustimmung ehrt mich sehr. Für das Vertrauen bedanke ich mich ganz herzlich. Diese Mehrheit ist eine Bestätigung für die Arbeit des Rektorats in den letzten Jahren. Ich verstehe sie auch als Auftrag, den Wandel weiter zu organisieren.
Was meinen Sie mit „Wandel“?
Sagerer: Der Wandel speist sich aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Wir sind beispielsweise massiv gewachsen – bei der Zahl der Studierenden und der Zahl der Beschäftigten –, haben uns aber noch nicht als größere Universität eingepegelt. Zweites Beispiel: Wir bekommen eine Medizinische Fakultät, sie muss gut in unserer Universität integriert werden. Oder: Unsere Wissenschaftler*innen werben immer erfolgreicher Drittmittelprojekte ein, aber von der Karte der Exzellenzstrategie sind wir mit dem Auslaufen von CITEC und BGHS leider verschwunden. Auch ändern sich die finanziellen Rahmenbedingungen für Universitäten, mit Chancen aber auch mit Risiken. Universitäten sollen zudem immer mehr Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung übernehmen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir uns angesichts vielfältiger Erwartungen treu bleiben. Auch die Baumaßnahmen und die Digitalisierung bedeuten Veränderung – mit Chancen und Herausforderungen.
Ich sehe es als meine Aufgabe an, diese Veränderungsprozesse gemeinsam mit dem Rektorat, den Dekaninnen und Dekanen, dem Senat, Studierendenvertreter*innen und weiteren Vertreter*innen verschiedener Gruppen zu gestalten. Dafür müssen wir offen und transparent kommunizieren. Wir brauchen einen ehrlichen Dialog.
Damit ist Ihre Agenda schon gut gefüllt. Wo sehen Sie die Schwerpunkte und was haben Sie konkret vor?
Sagerer: Fangen wir mit dem Themenfeld „Studium“ an. Ich bin ein großer Anhänger der Bologna-Reform. Wenn Sie gut gemacht ist, ist sie ein Gewinn. Wir machen es seit vielen Jahren gut. Ich bin von unserer Studienstruktur überzeugt. Sie bietet unseren Studierenden Raum für Individualität und Entwicklung – durchlässige Studiengänge, Vielfalt an Fächerkombinationen, einheitlich große Module, Wiederholbarkeit von Prüfungen sind die zentralen Stichworte. Es kann hier nur um Nachjustierungen gehen. Ein konkreter Punkt: Ich möchte den „Individuellen Ergänzungsbereich“ erweitern und ihn stärken. Wir haben uns zudem auf den Weg zur Systemakkreditierung gemacht und sind aktuell dabei, gemeinsam mit den Fakultäten das notwendige Qualitätsmanagement aufzubauen. Meine Vision ist, dass wir bis 2023 alle Studiengänge intern zertifiziert haben. Auch bei der Studienkultur haben wir in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Insbesondere Claudia Riemer hat als Prorektorin den Dialog mit den Lehrenden und den Studierenden intensiviert. Das Leitbild für die Lehre und das „Living Document zur Teilnahme an Lehrveranstaltungen“ sind Ergebnisse eines Prozesses, der sicher noch nicht zu Ende ist. Digitalisierung in der Lehre ist ein weiterer zentraler Auftrag.
Und im Bereich Forschung?
Sagerer: Unser Anspruch ist es, eine starke Forschungsuniversität zu sein. Den Beweis dafür haben wir in der Vergangenheit regelmäßig erbracht. Um das auch zukünftig sicherzustellen, müssen wir unseren Spitzenforscher*innen die notwendige Zeit für Forschung geben. Wir müssen sie in die Lage versetzen, ihre Ideen und Ansätze auszuarbeiten, gegebenenfalls Projekte zu beantragen und diese erfolgreich durchzuführen. Und genau hier wird es schwierig: Professor*innen haben vielfältige Aufgaben in der Lehre und in der Betreuung von Studierenden. Auch in der Selbstverwaltung sind sie gebunden. Diese Arbeit darf nicht leiden, wenn sie Zeit in Forschung investieren…
Wie wollen Sie diesen Widerspruch auflösen?
Sagerer: Die Lösung liegt nicht in der einzelnen Person, sondern auf der Ebene der Fakultäten. Gibt man Einzelnen die Möglichkeit mehr zu forschen, dann muss das fehlende Lehrdeputat und das reduzierte Betreuungsangebot ausgeglichen werden. Ich sehe hier verschiedene Bausteine, mit denen Fakultäten Kompensation schaffen können – angefangen bei Nachwuchswissenschaftler*innen, über zusätzliche, honorierte Lehrleistung von Kolleg*innen bis zum Einsatz von Seniorprofessuren. Insbesondere über Seniorprofessuren können wir uns kompetente Lehrangebote sichern. Ich möchte nun mit den Fakultäten in die Diskussion einsteigen. Es wird keine Blaupause für alle geben. Ich bin überzeugt, dass die Fakultäten individuelle Lösungen finden und damit einen signifikanten Beitrag zur Forschungsuniversität leisten und gleichzeitig die Qualität der Lehre sicherstellen und sogar verbessern können.
Welche Rolle spielen die Nachwuchswissenschaftler*innen in Ihren Überlegungen?
Sagerer: Eine zentrale. Wir brauchen ambitionierte, kreative und mutige Nachwuchswissenschaftler*innen. Sie sind eine entscheidende Säule unserer Forschung und in der Lehre. Mein Ziel ist es, sie für ihre Aufgaben besser zu qualifizieren und ihnen auch planbare Perspektiven zu geben. Meine Überlegungen basieren auf drei Säulen: Qualifizieren, unterstützen und im Dialog sein. Ich habe hier bereits Konzepte, möchte heute aber noch nicht konkreter werden, sondern meine Ideen erst einmal mit den Vertretungen des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus diskutieren.
Die größte Veränderung wird sicher die Medizinische Fakultät bringen. Wie schätzen Sie die Chancen und Risiken ein?
Sagerer: Aus meiner tiefen Überzeugung heraus, sehe ich vor allem Chancen. Wir bekommen vielfältige Möglichkeiten das Lehr- und Forschungsprofil der Universität Bielefeld zu erweitern. Dabei ist die neue Fakultät kein „closed shop“ ��� im Gegenteil: sie bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für viele unserer Fakultäten und Einrichtungen. Ich kann die Kolleg*innen nur ermutigen, sich bei den aktuellen Planungen und Entwicklungen einzubringen. Wir sind alle aufgefordert die Chancen zu nutzen. Unsere neue Fakultät ist auch ein wesentlicher Faktor für eine positive Entwicklung von Ostwestfalen-Lippe. Und wir wollen noch mehr: wir wollen mit unseren Ansätzen national Akzente setzen.
… und Risiken?
Sagerer: Ich möchte lieber von Herausforderungen sprechen. Die Baumaßnahmen sind hier sicher zu nennen. Wir brauchen sehr schnell die Gebäude. Ich bin aber sicher, dass unser Kanzler die richtigen Weichen bereits gestellt hat. Zudem warten wir noch auf das Gutachten des Wissenschaftsrats, der unser Konzept evaluiert. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir ein positives Votum bekommen.
Und was passiert aktuell in der Fakultät?
Sagerer: Die ersten Berufungsverfahren laufen, die nächsten Professuren werden ausgeschrieben. Zusätzlich werden neue Stellen auch in den anderen Fakultäten und in den Verwaltungs- und Servicebereichen entstehen, um Lehrexporte und den Mehrbedarf zu decken. Nach der Unterzeichnung von Rahmenverträgen mit den ersten drei Krankenhausträgern geht es nun um die Auswahl der konkreten Fachkliniken für das Universitätsklinikum OWL. Zudem schaffen Kolleg*innen in Projekten – beispielsweise zum Curriculum oder zur Versorgung mit der notwendigen IT-Infrastruktur – die Grundlagen für den geplanten Studienstart im Semester 2021/2022.
Das Verfahren zur Wahl der Prorektor*innen läuft aktuell. Können Sie uns dennoch schon etwas zu Ihrem Team sagen?
Sagerer: Ich möchte der Kommission nicht vorgreifen. Nur so viel: Claudia Riemer kandidiert nicht wieder. Sie möchte wieder mehr Zeit in ihre Forschung und Lehre investieren. Ich bedauere dies, habe aber selbstverständlich volles Verständnis. Ihr gilt mein ganz herzlicher Dank für die Zusammenarbeit in den letzten Jahren. Zum zukünftigen Zuschnitt und zu den Personen möchte ich heute allerdings noch nichts sagen.
Können Sie abschließend Ihre Vision der Universität Bielefeld im Jahr 2023 – also zum Ende Ihrer neuen Amtszeit – kurz zusammenfassen?
Sagerer: Wir sind uns nach wie vor treu und leben das, was wir in „Unser Anspruch“ formuliert haben. Unsere Universität ist eine der forschungsstärksten in Deutschland und ist international sichtbar. Unsere Studiengänge überzeugen, sind hochattraktiv und erfolgversprechend – und das für ambitionierte Studierende aus der ganzen Welt. Die Medizinische Fakultät ist gestartet – in Forschung und Lehre. Und als Volluniversität sind wir 2023 das Zentrum der Wissenschaftsregion OWL.