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„Populistische Vereinfachung ist ein Verrat an der Demokratie“
Verleihung des Bielefelder Wissenschaftspreises an den Demokratietheoretiker Pierre Rosanvallon
Der Bielefelder Wissenschaftspreis 2016 geht an den französischen Historiker, Politologen und Philosophen Pierre Rosanvallon. Der Professor für Geschichte am Collège de France in Paris beschäftigt sich in seinen Werken mit Voraussetzungen und Herausforderungen für Demokratien, mit sozialer Gerechtigkeit und der Legitimation von Regierungen. Die Preisverleihung fand gestern Abend (15. November) in der Kunsthalle Bielefeld statt.
Mit seinem Vortrag knüpfte Rosanvallon an sein gerade auf Deutsch erschienenes Werk „Die gute Regierung“ an. Darin kritisiert er, dass die Exekutive in vielen westlichen Demokratien übermächtig ist. Die Regierung werde zwar legitimiert durch freie Wahlen und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, treffe dann jedoch viele Entscheidungen ohne weitere Kontrollinstanzen. Nicht das Volk regiere, wie der Begriff Demokratie impliziert, sondern die Regierungen.
Diesen durchaus berechtigten Vorwurf griffen Populisten auf und nutzten ihn für ihre Zwecke. „Die demokratische Legitimation ist in der Krise“, diagnostiziert Rosanvallon. Regierungen müssten daher neue Formen der Legitimation finden. Für Rosanvallon steht dabei aber fraglos fest, dass die Vereinfachungsstrategien, die derzeit Populisten allerorten vorschlagen, keine Lösung sein können: „Populistische Vereinfachung ist ein Verrat an der Demokratie.“ Bereits in seinem 2010 auf Deutsch veröffentlichten Werk „Demokratische Legitimität“ schlägt er eine Legitimation durch Unparteilichkeit, Reflexivität und Nähe vor. In seiner vielbeachteten Schrift „Die Gesellschaft der Gleichen“ (deutsch 2013) konstatiert er zudem, dass eine funktionierende Demokratie nicht nur Gleichheit vor dem Gesetz erfordert, sondern auch soziale Gleichheit. Die Kluft zwischen Arm und Reich spalte die Gesellschaft und gefährde die Demokratie.
„Rosanvallons Thesen sind hochaktuell, nicht nur vor dem Hintergrund von Fremdenfeindlichkeit, Populismus und größer werdenden Unterschieden zwischen Arm und Reich, sondern auch angesichts internationaler Verträge wie TTIP und CETA, die Regierungen vielfach versuchen, an den Parlamenten vorbei auszuhandeln“, sagt Professor Dr. Oliver Flügel-Martinsen. Er koordinierte das Festkolloquium, das anlässlich der Preisverleihung im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) stattfand.
Die Stiftung der Sparkasse Bielefeld verleiht den Bielefelder Wissenschaftspreis alle zwei Jahre im Gedenken an den Soziologen Niklas Luhmann, in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Bielefeld und der Universität Bielefeld. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.
Weitere Informationen im Internet:
• Informationen zum Bielefelder Wissenschaftspreis: www.uni-bielefeld.de/wissenschaftspreis
• Informationen zum Kolloquium: www.uni-bielefeld.de/%28de%29/ZIF/AG/2016/11-15-Fluegel-Martinsen.html
• Bielefelder Wissenschaftspreis geht an Professor Pierre Rosanvallon (PM vom 28.07.2016):
http://ekvv.uni-bielefeld.de/blog/uniaktuell/entry/bielefelder_wissenschaftspreis_2016_geht_an