Technische Fakultät
Köpfe der Technischen Fakultät: Prof. Dr. Jens Stoye (3)
Im neuen Jahr geht unsere Serie "Köpfe der Technischen Fakultät" mit Prof. Dr. Stoye weiter. Jens Stoye ist Professor für Genominformatik an der Technischen Fakultät und geschäftsführender Leiter des Bielefelder Institut für Bioinformatik-Infrastruktur (BIBI) .
Prof. Dr. Jens Stoye Foto: Universität Bielefeld
Wer bin ich?
Mein Name ist Jens Stoye. Ich bin seit 2002 an der Technischen Fakultät Professor für Genominformatik.
Zuvor habe ich bereits an der Technischen Fakultät studiert und promoviert. Daher kenne ich die Fakultät aus verschiedenen Blickwinkeln. Als ich mein Studium 1990 begann, existierte der Diplomstudiengang „Naturwissenschaftliche Informatik“ im zweiten Jahr. Alles war noch ganz neu. Alles war noch im Entstehen. Es herrschte eine gewisse Aufbruchsstimmung. Das Konzept der Interdisziplinarität an der Technischen Fakultät, die keine Informatik-, keine Biotechnologie-, keine Ingenieur- und keine Robotik-Fakultät ist, sondern irgendetwas dazwischen, zeigte sich auch damals schon. Es gab Informatiker, die aus Osnabrück, Dortmund oder München kamen und in Bielefeld wiederum auf Biotechnologen getroffen sind. Alle mussten sich zunächst einmal zusammenfinden, um gemeinsam eine Fakultät aufzubauen. Die Lehrenden, die Promovierenden und Postdocs waren selbst erst in der Findungsphase, wie diese gemeinsame Fakultät funktionieren kann. Und wir als Studierende waren auch irgendwie dazwischen und haben diese besondere Atmosphäre, die vielen Ideen aufgesogen. Die Vorlesungen und Seminare waren meistens gar nicht so gut organisiert, aber extrem kreativ. Und das war toll!
Nach meinem Studium war meine Promotionsstelle in der Mathematik angesiedelt. Dort war alles sehr sehr klar organisiert. Den Kontakt zu den Informatikern habe ich immer gehalten und letztlich habe ich, weil es thematisch besser passte, auch in der Informatik meine Doktorarbeit abgegeben. Ich kenne also den Unterschied zwischen einem klassischen Fach wie dem der Mathematik zu einem kreativen Fach wie dem der Naturwissenschaftlichen Informatik, an der mehrere Disziplinen beteiligt sind.
Nach meiner Promotion im Jahr 1997 ging ich für ein Jahr als Postdoc an die University of California in Davis, dann weitere zweieinhalb Jahre an das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg und darauf folgend habe ich bis 2002 eine Nachwuchsgruppe für Algorithmische Bioinformatik am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin geleitet. Zum 1. März 2002 bin ich als Professor für Genominformatik nach Bielefeld zurückgekehrt und habe es bisher nicht bereut.
Worum geht es in meiner Forschung?
In der Genominformatik analysieren wir im Großen und Ganzen molekularbiologische Daten. Wir haben uns auf das Thema der komparativen Genomik spezialisiert, d.h. wir untersuchen also nicht nur ein spezielles Genom, sondern mehrere, die wir vergleichen wollen. Heutzutage teilt sich auch dieses Gebiet mit Teilbereichen wie Metagenomik oder Pangenomik noch weiter auf .
An welchen Projekten arbeite ich aktuell?
Ich arbeite aktuell an zwei Schwerpunkten. Zum einen bin ich an zwei EU-Verbundprojekten im Bereich der Pangenomik beteiligt. Anders als in der klassischen komparativen Genomik, die nach Ähnlichkeiten und Unterschieden bei verschiedenen Spezien sucht, also der Frage nach Unterschieden beispielsweise zwischen Mensch und Maus, interessiert sich die Pangenomik für Ähnlichkeiten und Unterschiede innerhalb einer Spezies. Wenn man beispielsweise zwei menschliche Individuen nimmt und die Genome der beiden Position für Position vergleicht, dann ist, grob gesprochen, jede tausendste Position unterschiedlich. Die Pangenomik interessiert sich dafür, was diese Unterschiede ausmachen? Die informatische Herausforderung ist es dabei, zum einen diese Unterschiede überhaupt zu finden und zum anderen mit der Datenmenge von beispielsweise einer Million menschlicher Genome zurechtzukommen. Anschließend stellt sich die Frage, wie die gefundenen Unterschiede zu erklären sind. Und an der Stelle müssen wir dann natürlich mit Populationsgenetiker:innen, mit Anthropolog:innen oder auch mit Mediziner:innen zusammenarbeiten. Viele Krebsarten werden z.B. mit Fehlern in der Genomkopie in Zusammenhang gebracht. In diesem Bereich der Pangenomforschung versuchen wir im Moment die Methoden weiterzuentwickeln.
Ein weiterer Schwerpunkt meiner Forschung ist der Bereich der Bioinformatik-Infrastruktur. Ich leite das Bielefelder Institut für Bioinformatik-Infrastruktur (BIBI), das an der Technischen Fakultät angesiedelt ist. Ziel ist es, die notwendige Infrastruktur sowohl für Biologen wie auch Bioinformatiker bereitzustellen. Dazu sind wir beteiligt am Deutschen Netzwerk für Bioinformatik-Infrastruktur (de.NBI), das eine Cloudinfrastruktur an acht Standorten über ganz Deutschland verteilt betreibt. Einer dieser Standorte ist die Universität Bielefeld. Es geht aber auch um die Bereitstellung von technischen Dienstleistungen, also wie konfiguriere ich überhaupt die Computer, sodass auch Nicht-Informatiker sie benutzen können. Das können z.B. Doktoranden der Biologie sein, die Daten haben, die auf einem Großrechner analysiert werden sollen, aber selbst nicht wissen, wie man mit einem Großrechner interagiert. An dieser Stelle versuchen wir, eine Zwischenebene einzubauen, die es den Nutzer:innen ohne viel Vorwissen ermöglicht, dass ihr Rechenprozess auf einem Großrechner läuft. Wenn die Rechnung fertig ist, bekommen die Nutzer:innen ihre Ergebnisse zurück. Der Vorteil dieser akademischen „de.NBI-Cloud“ ist es, dass wir garantieren, dass die Daten an den Standorten in Deutschland gespeichert werden und sicher sind. Und dennoch versuchen wir, ähnlich wie Amazon oder Google, ein relativ einfaches Interface zu bauen, mit dem man gut interagieren kann. Wir gehen also das Thema der Bioinformatik-Infrastruktur auf mehreren Ebenen an: Die erste Ebene stellt die Hardware zur Verfügung, die zweite Ebene widmet sich der Konfiguration und auf der dritten Ebene wird in der Graduiertenschule „Digital Infrastructure for the Life Sciences“ des BIBI die Software für die jeweiligen Analysen entwickelt. Die vierte Ebene bietet schlussendlich eine Art Helpdesk. Wir beraten also explizit die Nutzer:innen bei ihren Fragen: Z.B. welche Software bei den jeweiligen Daten benutzt werden könnte und welche Voraussetzungen an die jeweilige Software geknüpft sind? Ist das Programm auf einem Laptop installierbar oder braucht es eine größere Rechenkapazität etc.? Und wenn eine größere Rechenkapazität notwendig ist, können wir unsere Cloud-Infrastruktur anbieten, für deren Benutzung wir wiederum Schulungskurse anbieten. Sollten die Schulungen nicht ausreichend sein, gibt es die Möglichkeit, bei sogenannten Hackathons über eine ganze Woche im Austausch mit anderen Wissenschaftler:innen an den Daten zu arbeiten, so dass am Ende des Tages die Rechnungen wie gewünscht funktionieren. Ziel all der Unternehmungen ist es, dass nicht jedes Labor eine eigene Infrastruktur und auch die Expertise, diese zu nutzen, vorhalten muss. Zusätzlich zum BIBI bin ich im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), einem deutschlandweiten Netzwerk aus inzwischen ca. dreißig Netzwerken der verschiedensten Fächer, an den Forschungsdateninfrastrukturen für Mikrobiota, also für Mikrobenforschung, und für Biodiversitätsforschung beteiligt.
Was treibt mich an?
Um die Frage zu beantworten, möchte ich ein wenig ausholen. Ich habe mich am Anfang meines Studiums bis hin zum Diplom mehr in Richtung Physik als in Richtung Biologie orientiert. Später habe ich festgestellt, dass die Molekularbiologie eigentlich auch extrem spannende Fragestellungen liefert und meine Promotion in diese Richtung fortgeführt. Da die Naturwissenschaftliche Informatik die Richtungsentscheidung lange offenlässt, war das möglich. Die Grundlagen in der Molekularbiologie und in der Genetik hatte ich in meinem Studium bereits gelernt. Das ist bis heute nützlich für mich. Weitere Einblicke habe ich bei den Medizinern am Deutschen Krebsforschungszentrum und bei den Genetikern am Max Planck-Institut für molekulare Genetik erhalten. Die verschiedenen Blickwinkel und Zugänge sind es, die mich am meisten faszinieren. Einerseits brauchen wir fundierte „Hardcore“-Informatik, um das, woran wir forschen, überhaupt umsetzen zu können. Andererseits benötigen wir ein Grundverständnis und eine gewisse Neugier im Bereich der jeweiligen Anwendung, um Modelle und Problemlösungsstrategien erarbeiten zu können, die dann auch geeignet sind, die Forschung in dem jeweiligen Anwendungsgebiet voranzubringen. Ein gutes Ergebnis ist also nicht nur die Laufzeit und der Speicherplatz unserer Berechnungen, sondern vielmehr, wie sehr sich diese auf die Fragestellungen der Nutzer:innen beispielsweise aus der Biologie beziehen lassen, damit die Wissenschaftler:innen dann wiederum daraus ihre Erkenntnisse gewinnen können. Diese beiden Herangehensweisen an die Arbeit machen es jeden Tag spannend!
Was zeichnet die Technische Fakultät aus? Was macht sie besonders?
Die Technische Fakultät zeichnet ihr Gründungsgedanke aus; also eine Fakultät zu schaffen, die sich auf technische Bereiche konzentriert, in der es aber keine engen Fachgrenzen gibt. Im Gegenteil, die kooperative Zusammenarbeit ist gewünscht und wird gefördert. Das ist ziemlich einmalig, finde ich! An keinem der anderen Standorte, an denen ich war, habe ich das in der Form erlebt. Und ich hoffe auch, dass wir das weiterhin so durchhalten können. Auch in Zukunft sollte die Frage leitend sein, ob jemand interessante Forschung macht, die im Bereich der Technischen Fakultät liegt. Und da darf es auch keine Grenzen geben! Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Disziplinen ist das Besondere! Bereits der erste Studiengang dieser Fakultät, die Naturwissenschaftliche Informatik, zeigte eindrücklich, dass alle, die naturwissenschaftliche Vorgänge mit dem Computer modellieren, zur Technischen Fakultät gehören können. Meine Biografie veranschaulicht das auch noch einmal. Denn wie gesagt, eigentlich habe ich mich in Richtung Physik orientiert und später festgestellt, dass die informatischen Fragen aus dem Bereich der Molekularbiologie mich doch noch mehr interessieren. Und aufgrund der strukturellen Gegebenheiten dieser Technischen Fakultät war ich in der Lage, den Schwenk hin zur Bioinformatik zu machen. Wenn also ein Studierender der Physik mit dem Interesse im Gebiet der Informatik seine Abschlussarbeit bei mir schreiben möchte, dann betreue ich die Arbeit gerne und das gilt auch für die Arbeiten anderer naturwissenschaftlicher Bereiche. Der Austausch zwischen den Disziplinen ist es, was mich an dieser Technischen Fakultät fasziniert. Klar kann man immer sagen, dass es noch viel zu wenig gemeinsame Projekte zwischen den Biotechnolog:innen und Bioinformatiker:innen gibt. Aber das ist dann wiederum ein Anreiz für mich, mich dahingehend weiterzuentwickeln.
Was ist bei meiner Arbeit aktuell die größte Herausforderung?
Bei meiner wissenschaftlichen Arbeit sind die Herausforderungen alle nicht so groß wie die Herausforderung, mit den Verwaltungsstrukturen einer Universität zurechtzukommen. Leider sind die Rahmenbedingungen über die letzten zwanzig Jahre nicht besser, eher schlechter geworden. Das beginnt bereits bei den Sekretariaten, die heute eine Vielzahl an Aufgaben übernehmen müssen und darüber zur eigentlichen Unterstützung des wissenschaftlichen Betriebs gar nicht mehr ausreichend Zeit haben. Verwaltungsaufgaben strengen mich sehr an! Nicht jeder sieht, dass Forschung und Lehre vordergründig Priorität haben sollten. Meiner Wahrnehmung nach war das vor zwanzig Jahren noch anders. So traurig es auch ist, sehe ich den Bereich der verwaltenden Aufgaben für mich, aber auch für den ganzen Universitätsbetrieb als größte Herausforderung.
Wenn ich mir etwas wünschen würde, dann wäre es?
Ich wünsche mir einerseits mehr Zeit für Forschung und Lehre. Aber andererseits ist es kein Geheimnis, dass man ab einem gewissen Stadium als Wissenschaftler:in im Wesentlichen Wissenschaftsmanager:in ist. Richtig glücklich bin ich als Wissenschaftler, wenn ich wie gestern Abend dann doch mal bis um zehn, halb elf Zeit habe, interessante Fragestellungen zu bearbeiten. Leider sind das nur zwei Stunden pro Woche. Es ist ein Irrglaube, dass sich ein Professor 25 Stunden die Woche seiner Forschung und in der übrigen Zeit der Lehre widmen kann. So ist es leider nicht. Mein Wunsch wäre also, mehr von Verwaltungsarbeiten entlastet zu sein.
Wer soll der nächste „Kopf der Technischen Fakultät“ werden?
IT-Infrastruktur spielt eine große Rolle, das habe ich in meinen Antworten bereits herausgehoben. Deshalb würde mich die Philosophie hinter den Entscheidungen zu einer Universitäts-IT-Infrastruktur interessieren. Ich denke dabei z.B. an das Thema Sicherheit. Wählt man mehr Sicherheit auf Kosten der Flexibilität oder geht man ein höheres Risiko ein, um mehr Freiheiten zu haben? Wie findet man da die richtige Balance? Oder wie geht es weiter mit der IT-Versorgung bei den Studierenden? Spielt das überhaupt noch eine Rolle, da jeder mittlerweile mehrere Kommunikationsgeräte nutzt und auch besitzt? Hat also ein klassischer Rechner-Schulungsraum noch eine Zukunft? Gibt es Überlegungen, die unterschiedlichen Netzwerke an der Technischen Fakultät wieder zusammenzuführen; vielleicht sogar hin zu einer großen Uni-Compute-Infrastruktur, an der sich alle gemeinsam finanziell beteiligen? Der Leiter der IT an der Technischen Fakultät, Michael Götting, könnte dazu vielleicht interessante Dinge erzählen. Als zweiten Vorschlag möchte ich meine Sekretärin Heike Samuel in ihrer Rolle als Beauftragte für das elektronische Vorlesungsverzeichnis nennen. Denn das ist auch eine zentrale Schnittstellenposition. Sie kommuniziert mit jedem Lehrenden in der Fakultät, da sie die Einträge im eKVV macht.