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Soziologie

T. Faist über "Wider die Religionisierung von Integration"

Veröffentlicht am 31. Mai 2017, 17:46 Uhr

Wider die Religionisierung von Integration: Von ausschließenden zu einschließenden Identitäten

Von Thomas Faist, Bielefeld, Email: thomas.faist@uni-bielefeld.de

In seiner höchst umstrittenen Intervention zur Debatte um Integration von Migranten, die unter dem Stichwort „Leitkultur“ firmiert, erwähnte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auch die Bedeutung von Religion: „In unserem Land ist Religion Kitt und nicht Keil der Gesellschaft.“ Angesichts der tatsächlichen Politik der Bundesregierung und mancher Landesregierung im Hinblick auf Islam in Deutschland kann man bei diesem Satz nachdenklich werden. Führt die Islampolitik der Regierung wirklich dazu, dass Religion zur staatsbürgerlichen Gemeinsamkeit beiträgt? Prominente Maßnahmen wie die Islamkonferenz deuten in eine andere Richtung. Sie fördern eher Organisationen, die wie DITIB entweder direkt mit dem türkischen Staat verknüpft sind oder sehr konservative theologische Positionen vertreten.

Die seit 2005 tagende Islamkonferenz ist inzwischen in ihrer dritten Phase angekommen. Zwar gibt es auch noch einen Nationalen Integrationsgipfel. Aber die Islamkonferenz ist seit über einem Jahrzehnt der weithin sichtbare Ort, an dem nicht nur Fragen der religiösen Integration von muslimischen Verbänden, sondern auch alle weiteren Integrationsbereiche verhandelt werden: Schule, Sprache, Kultur und Wirtschaft. Und inzwischen erhalten Verbände wie DITIB staatliche Fördergelder in Millionenhöhe für Maßnahmen wie Sprachkurse.

In Deutschland verlangt die wichtige gesellschaftliche Rolle christlicher Kirchen und der jüdischen Gemeinde auch nach verlässlichen Ansprechpartnern unter muslimischen Religionsgruppen und ihrer Integration in das institutionelle Gefüge. Soweit wirkt das Ziel der seinerzeit von Wolfgang Schäuble (CDU) angestoßenen Islamkonferenz verständlich. Warum sollten muslimische Verbände, die sicherlich nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland repräsentieren, als privilegierte Ansprechpartner der Politik für Integration auch in Feldern wie Sprache und Kultur fungieren?

Sämtliche Bereiche der Integration werden inzwischen vorwiegend aus einer religiösen Brille betrachtet. So gelten inzwischen sämtliche Migranten und Migrantinnen aus der Türkei und dem Mittleren Osten als Muslime. Das ist nicht nur eine grob vereinfachende sondern auch eine falsche Religionisierung von Migranten und der Diskussion um Integration. Folgerichtig wäre es höchste Zeit, die Islamkonferenz in eine allgemeine Integrationskonferenz zu überführen.

Hier offenbart sich ein grundlegender Widerspruch der gegenwärtigen Integrationspolitik. Einerseits betont sie, wie auch von de Maizière formuliert, die Bedeutung von Religion für den sozialen Zusammenhalt. Andererseits erkennt sie nicht an, dass Religionen - zumindest in denen, die als Mitgliedschaftsverbände organisiert sind - eher ausschließende Identitäten betonen. Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften oder Kirchen ist in dem Sinne polar, dass man entweder Muslim oder Nicht-Muslim bzw. Christ oder Nicht-Christ sein kann.

Es gilt, noch einen Schritt weiterzugehen. Um Integration und Anerkennung von Migranten voranzutreiben, ist es wichtig, eher exklusive Mitgliedschaften in religiösen Organisationen durch einschließende Identitätsangebote zu ergänzen. Nehmen wir das Beispiel Sprache. In diesem Falle ist das Beherrschen einer neuen Sprache additiv – jede neue Sprache kommt hinzu, ohne dass sie notwendigerweise in Konflikt mit einer anderen treten würde. Das Erlernen einer neuen Sprache verdrängt nicht die vorher gelernten alten Sprachen.

Noch ein weiterer Vorteil der stärkeren Fokussierung auf Sprache kommt hinzu. Derzeit verstärken häufig religiöse Differenzierungen zwischen Migranten und Nicht-Migranten gegenseitiges Ressentiment und Täter-Opfer-Rollen. Durch eine kluge Sprachpolitik gerät man nicht so leicht in derartige Fallen. Sicherlich, dazu bedarf es Mut. Anfangen kann man damit, herkunftssprachlichen Unterricht im Hinblick auf lang etablierte Sprachen wie Russisch, Türkisch oder Arabisch abzuschaffen. Es macht wenig Sinn, im Hinblick auf Kinder von Migranten der dritten oder vierten Generation an der Fiktion festzuhalten, dass sie die notwendigen muttersprachlichen Kenntnisse in den Unterricht mitbringen. Stattdessen sollte der Status dieser Sprachen an allgemeinbildenden Schulen aufgewertet werden; und zwar als normale Fremdsprachen – genauso wie Englisch, Französisch oder Spanisch. Darüber hinaus eröffnet dies auch erweiterte berufliche Möglichkeiten für manche Jugendliche mit Migrationshintergrund. Denn Länder wie Russland, die Türkei und auch die arabische Welt gehören zu wichtigen Wirtschaftspartnern der Bundesrepublik.

Integrationspolitik sollte also nicht einfach durch die einseitige Betonung von Religion als Kitt unserer Gesellschaft voranschreiten, weder durch eine Betonung des „christlichen Abendlands“ als Leitkultur noch durch die Privilegierung von muslimischen Migrantenorganisationen und damit Religion gegenüber Sport, Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik. Im gegenwärtigen national- und weltpolitischen Klima führt dies vor allem zu verstärktem Ressentiment zwischen manchen Migrantengruppen und Einheimischen. Vielmehr ist es höchste Zeit, weitere Potenziale für Integration auszuschöpfen. Sprachen sind durch ihre additive Anlage ein geeigneter Anfang.

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