Pressemitteilungen
Tunesischer Wissenschaftler und Parlamentarier
arbeitet seit über 25 Jahren mit Bielefelder Mathematikern zusammen (Nr. 45/2001)
Zu einer weiteren internationalen Konferenz über Potentialtheorie hatten jüngst der Bielefelder Mathematiker Wolfhard Hansen und Abderrahman Boukricha aus Tunesien in das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld eingeladen. Im Mittelpunkt standen hierbei die Anwendungen potentialtheoretischer Methoden und Resultate auf konkrete Problemstellungen der Naturwissenschaften, der Technik, der Wirtschaft und natürlich der Mathematik. Die mathematische Disziplin der Potentialtheorie entstand aus praktischen Problemen der Astronomie und Physik, genauer gesagt aus dem Studium der Gravitations- und elektrischen Feldpotentiale. Diese Interdisziplinarität hat sich nicht nur erhalten, sondern auch auf andere, zum Teil unerwartete Probleme der Biologie, Chemie, Geologie, Physik, Technik und Wirtschaft erweitert. Dabei profitiert sowohl die Potentialtheorie von der Heuristik der angewandten Fragestellungen als auch jedes Anwendungsfeld von der Rigorosität mathematischer Resultate. Die Tagung, die unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt wurde, versuchte, diese Wechselwirkung zu nutzen und zu intensivieren.
Einer der wissenschaftlichen Leiter der Tagung, Dr. Abderrahman Boukricha aus Tunesien, den mit Bielefeld sehr viele persönliche Erinnerungen verbinden, nutzte die Tagung auch für eine Danksagung an Prof. Dr. Wolfhard Hansen von der Fakultät für Mathematik der Universität Bielefeld. Hansen habe eine sehr erfolgreiche internationale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Tunesien auf den Weg gebracht und über viele Jahre gefördert. Vor 26 Jahren hatte alles angefangen. Wolfhard Hansen war für ein Jahr an der Universität Tunis und bot dort mathematische Vorlesungen an. Einer seiner damaligen graduiererten Studierenden war Abderrahman Boukricha. Mit Hilfe des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und unterstützt von Wolfhard Hansen erhielt der junge Tunesier damals ein Doktorandenstipendium und kam für zwei Jahre an die Bielefelder Universität. Im März 1978 promovierte der tunesische Nachwuchswissenschaftler in Bielefeld und kehrte in sein Heimatland zurück. Das war der Anfang einer fruchtbaren Zusammenarbeit und wissenschaftlichen Weiterentwicklung im Bereich der reellen Analysis, speziell der Potentialtheorie, und die Geburtsstunde einer jungen Forschergruppe in Tunesien. Eindrucksvoll belegt Dr. Abderrahman Boukricha diesen Erfolg mit Zahlen: Mehr als 20 Diplomarbeiten, 15 Doktorarbeiten und sechs Habilitationschriften seien seitdem entstanden.
Die anfängliche vertikale Nord-Süd-Kooperation zwischen den deutschen und tunesischen Mathematikern habe sich erfolgreich ausgeweitet und weiterentwickelt. Inzwischen existiere auch eine horizontale Süd-Süd-Kooperation zwischen den nordafrikanischen Staaten, besonders zwischen Tunesien und Marokko. Über die Universität Tunis erhielten viele marokkanischen Studierende Unterstützung durch die Bielefelder Universität und den DAAD, so daß sie in ihren Forschungsaktivitäten auf internationalem Niveau mithalten konnten.
"Ich bin überzeugt, dieser Erfolg wäre ohne das professionelle sowie das humane Engagement von Prof. Dr. Hansen nicht erreicht worden." So sei Hansen mehrmals auf eigene Kosten nach Tunesien und Marokko geflogen, um an Prüfungen teilzunehmen, Vorträge zu halten oder mathematische Seminare auf den Weg zu bringen, verdeutlicht Abderrahman Boukricha. "Ich bin sicher, Wolfhard Hansen wird die erfolgreichen Aktivitäten auch weiter mit Enthusiasmus vorantreiben, um die Entwicklung des Wissens zu fördern."
Dr. Abderrahman Boukricha, der 1978 nach seinem ersten Deutschlandaufenthalt nach Tunesien zu-rückkehrte und in der Folge in ständigem Kontakt mit Wissenschaftlern in Deutschland blieb, gehört seit 1999 dem tunesischen Parlament an. Seit dem vergangen Jahr ist er Mitglied des Parlamentarischen Ausschusses für Erziehung, Kultur, Information und Jugend. Mit Bielefeld verbinden den Mathmatiker aber nicht nur wissenschaftliche Beziehungen, sondern auch ganz private: Während eines Aufenthalts im ZiF im Jahr 1988, als Boukricha seine Habilitationsarbeit verfaßte, wurde seine Tochter Hana hier im Franziskushospital geboren.