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Karl Heinz Bohrer - Einspruch wider die herkömmliche Ästhetik (Nr. 179/2002)
"Zeit und Form. Konfigurationen ästhetischen und historischen Bewusstseins" heißt das Autorenkolloquium mit Karl Heinz Bohrer, das Wolfgang Lange (Bielefeld), Jürgen Paul Schwindt (Heidelberg) und Karin Westerwelle (Düsseldorf) vom 12. bis 14. Dezember im Zentrum für interdiszi-plinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld leiten werden.
Weit über den deutschsprachigen Raum hinaus gehört Karl Heinz Bohrer, Emeritus an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, zu den produktivsten und anregendsten Forschern auf dem Gebiet der Geistes- und Humanwissenschaften. Was ihn auszeichnet, ist nicht allein stupende Gelehrsamkeit, verbunden mit einer Neugierde, die sich durch keinen "szientifisch" gesicherten Befund beschwichtigen lässt.
"Charakteristischer noch ist" - so die wissenschaftlichen Leiter des Autorenkolloquiums -, "dass er in seinen germanistisch-literaturwissenschaftlichen Studien Perspektiven erprobt und Kategorien vorstellt, die dazu zwingen, über die Auffassung von Geschichte, Kunst und Literatur neu nachzudenken. Kreisten die von Walter Benjamin und dem Surrealismus inspirierten Arbeiten Bohrers in ihren Anfängen um die Avantgarde des 20. Jahrhunderts, so liegt ihr historischer Schwerpunkt seit geraumer Zeit eher auf der europäischen Romantik und der klassischen Moderne. Von besonderem Interesse ist dabei die Beobachtung, dass die Perzeption und Konzeption von Temporalität in Kunst und Literatur entschieden von der Zeit-Auffassung abweicht, die in der modernen Geschichtswissenschaft und weiten Teilen der Philosophie vorherrschend ist. 'Plötzlichkeit' statt Kontinuität, Trauer ohne jede Erwartung, eine Negativität, in der keine Spur von Verheißung mehr auszumachen ist -, so die Formel, mit der Bohrer Einspruch wider die herkömmliche Ästhetik und Hermeneutik erhebt.
Aufgabe des Kolloquiums wird es sein, die ästhetische Theorie Bohrers auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen und anhand literar- und kunsthistorischer Exempel ihre Reichweite zu diskutieren. Von der Grundannahme Bohrers ausgehend, derzufolge es eine fundamentale Differenz zwischen ästhetischer und historischer Erfahrung gibt, sind es vor allem drei Fragen, die zur Diskussion stehen. Geklärt werden muss erstens, was es mit dem Form- und Stilbegriff Bohrers auf sich hat und wie er sich, verstanden als Sediment temporaler Erfahrung, zu Konzepten verhält, die - wie im Umkreis der Dekonstruktion und des Poststrukturalismus - eher rhetorisch-poetologisch oder sprachphilosophisch fundiert sind. Zum zweiten sind die literar- und kunsthistorischen Konsequenzen zu diskutieren, die sich aus der Annahme einer radikalen Autonomie des ästhetischen Phänomens ergeben, insbesondere mit Blick auf das Problem der Modernität, der historischen Zäsur und der Markierung von Epocheneinschnitten. Schließlich wird drittens der 'philosophische' Status zu erörtern sein, den die ästhetische Hermeneutik Bohrers beansprucht. Ob sie sich als konsistent und zwingend erweist, ist dabei nur eine Frage, eine andere, weit interessantere ist, wieweit es ihr gelungen ist, den idealistisch-geschichtsphilosophischen Bann zu durchbrechen, in dem das Nachdenken über Kunst und Literatur trotz Adorno befangen ist."
Weitere Informationen: ZiF-Tagungsbüro, Telefon 0521/106 2768; Internet:
www.uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2002/12-12-Lange.html.
Link: http://www.uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2002/12-12-Lange.html