Pressemitteilungen
Bielefelder Historiker auf den Spuren der NS-Vernichtungspolitik (Nr. 105/2007)
Workshop zu "Quellen der Judenräte im besetzten Polen" vom 26. Bis 28 Juni im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ)
Seit langem beschäftigen sich die Bielefelder (Nachwuchs-) Historiker Dr. Freia Anders, Katrin Stoll und Karsten Wilke mit der NS-Vernichtungspolitik im 2. Weltkrieg. Dazu gehört nicht zuletzt die Erforschung des so genannten Bielefelder Bialystok-Prozesses, dessen herausragender Stellenwert erst durch diese Arbeit nach und nach deutlich wird. Zwischen 1965 und 1967 verhandelte die Schwurgerichtskammer am Landgericht Bielefeld gegen Mitarbeiter der Dienststelle des "Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für den Bezirk Bialystok" (KdS). Die Angeklagten waren an der Deportation der jüdischen Bevölkerung aus den nordostpolnischen Ghettos in Bialystok und Umgebung in die Vernichtungslager beteiligt. Nur auf der Grundlage historischer Dokumente gelang es dem Gericht damals, den Angeklagten die Kenntnis von Ziel und Zweck der Deportationen nachzuweisen und die Täter der Beihilfe zum Mord schuldig zu sprechen. Dazu gehörten auch die Meldungen des Bialystoker Judenrats. Sie geben Einblicke in die Reaktionsweisen der jüdischen Ghettobevölkerung auf die deutsche Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und verdeutlichen eine große Bandbreite menschlichen Verhaltens angesichts der zunehmenden schrecklichen Gewissheit über den laufenden Massenmord.
Zum Thema "Quellen der Judenräte im besetzten Polen" veranstalten die drei Historiker nun vom 26. bis 28. Juni 2007 im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) der Universität Bielefeld (Morgenbreede 35) einen Workshop. Dieser Workshop ist Teil eines deutsch-polnisch-israelischen Gemeinschaftsprojekts zur Erforschung des Holocaust und seiner Rezeption. Zeitgenössische Quellen aus den Geheimarchiven der Ghettos ermöglichen es, die Perspektive der Opfer der nationalsozialistischen Judenvernichtung im 2. Weltkrieg nachzuvollziehen. Im Zentrum der von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" unterstützten Veranstaltung stehen die Meldungen des Bialystoker Judenrats, ein beeindruckendes Zeugnis aus einem Ghetto im besetzten Polen. Ein Großteil der Meldungen des Bialystoker Judenrats wurde für das Bielefelder Schwurgericht aus dem Jiddischen übersetzt. Der damalige Übersetzer Prof. Hans-Peter Stähli wird auf dem Workshop anwesend sein und auf seine Tätigkeit zurückblicken.
Der Workshop setzt sich vergleichend mit der Geschichte der Judenräte in Bialystok, Warschau und Lód auseinander. Im Zentrum steht die Frage nach der Bedeutung der von den Judenräten überlieferten Quellen für die Geschichtswissenschaft sowie die Frage nach ihrer Nutzbarmachung für den Schulunterricht. In der ersten Sektion geht es um Erforschung der Geschichte der Judenräte sowie um öffentliche Nachkriegsdebatten zu deren Rolle. Die Vorträge beschäftigen sich mit der Rezeption der Judenräte in Israel, Polen und der Bundesrepublik Deutschland. Die zweite Sektion beschäftigt sich mit dem Erkenntniswert jüdischer Quellen für die Geschichtsschreibung der Ghettos im besetzten Polen. Die dritte Sektion beleuchtet den Beweiswert der Judenratsmeldungen im Bielefelder Bialystok-Prozess, deren sprachliche Charakteristika und die Möglichkeiten der Vermittlung des Holocaust mittels dieser Quellen.
Doktorandinnen und Doktoranden aus drei Ländern erhalten die Gelegenheit zum Austausch und zur kritischen Reflexion ihrer Arbeiten und werden dabei von erfahrenen Fachleuten unterstützt.
Kontakt:
Dr. Freia Anders, E-Mail: fanders@uni-bielefeld.de
Katrin Stoll, M.A., E-Mail katrinstoll@gmx.de
Karsten Wilke, M.A., E-Mail: kwilke1@uni-bielefeld.de